Linientreue

Gerade jetzt rasen Erinnerungen vorbei. In der Schulzeit rauschten die Parteitage mit Wohnungsbauprogramm und Bedürfnisbefriedigung an uns vorüber. Wer führen wollte, sollte dies in seiner Zukunft im Sinn der SED und bekam dafür Rüstzeug an die Hand. So kannte der Geschichtsunterricht in den letzten Schuljahren nur ein Lehrbuch, die Geschichte der SED. Die Partei neuen Typus sollte den Weg in den Kommunismus freimachen. Im Staatsbürgerkundeunterricht diskutierten wir darüber, wie die Menschen mit neuem Bewusstsein ihre Waren des täglichen Bedarfs in Konsum und Kaufhallen ohne Geld bekommen konnten. Mit Augenmaß gingen sie durch die Regale und nahmen nur, was sie wirklich brauchten.

Einkaufen ohne Geld, alles umsonst. Das mußten wir uns vorstellen. Dass das möglich ist, war die Vision. Für mich klang das wie im Religionsunterricht, als es um das Himmelreich ging. Das auf Erden zu erleben, wie es die kommunistische Lehre versprach, war schier unglaublich. Mir blieb der Glaube daran jedoch verschlossen wie die Grenze keine 20 Kilometer vom Elternhaus entfernt. Ich höre unseren Vater hektisch die Stufen hinauf rennen. Auf dem Boden drehte er die Antenne, da die Sender von jenseits der Grenze nicht auf derselben Frequenz zu empfangen waren.

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Der Klang der Stufen

Es ist jetzt ein gutes Jahr her, als wir das Gadebuscher Schloss besuchten. Gemeinsam traten meine drei Geschwister und ich die Reise in die Vergangenheit an, obgleich wir hier im damaligen Internat nicht zur selben Zeit untergebracht waren. Mein zweitältester Bruder machte Mitte der siebziger Jahre den Anfang. Dann folgten meine zwei Schwestern und ich. Mit meiner zweitältesten Schwester verbrachte ich drei Jahre im Schloss gemeinsam. In einem Zimmer wie in den letzten Jahren zu Hause wohnten wir nicht. Wir teilten das Zimmer mit gleichaltrigen Mitschülern. Oben wohnten die Mädchen und unten und im Mittelbau die Jungen. Um 22 Uhr wurde die Durchgangstür zur obersten Etage an der Treppe geschlossen.

Wir bahnen uns den Weg nach oben von Esszimmer und Küche über das Zimmer des Internatsleiters. Diese Treppe war früher verboten. Sie liegt vom oberen Klubraum aus gesehen auf der anderen Seite und ist begehbar. Keine Stufe fehlt. Nach dem vertrauten Eintreten unten wirkt es jetzt etwas fremd, auch wenn Bilder der Vergangenheit mit einem Blick von oben nach unten sich bei mir einstellen. Da es früher nur beim Schauen blieb, ist Distanz spürbar. Im Waschraum oben angekommen, purzeln die Erinnerungen. Ganz in der Nähe wohnten meine Schwestern. Meine einstigen Zimmer, drei waren es in den Jahren an der Zahl, liegen im Gang hinter dem Klubraum. Ich renne durch den Gang, greife die Tür meines letzten Zimmers und schaue, ob die Zimmernummer noch zu sehen ist. Da steht sie tatsächlich. Eine 7.

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